Die
Herstellung einer Fliese
Bis eine Fliese in ihrer ganzen Pracht erstrahlt
und damit das Auge des Betrachters erfreuen kann, bedurfte es eines umfangreichen
Fertigungsprozesses, der sich aus vielen Arbeitsgängen zusammensetzte.
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Reiter mit Gewehr, sog. großer Reiter; blau; Eckmotiv: Lilie; Harlingen oder Utrecht, ab 1880 (Ende 19. Jhdt.), den Reiterabbildungen der Periode 1700 bis 1750 nachempfunden; 13,1 x 13,1 x 0,8 cm |
Aufbringen der Glasur und Bemalung
Zunächst musste die Tonmasse
mit einem Rundholz ausgerollt und mit Hilfe eines Formrahmens in Form gebracht
werden.
Der Ton wurde sodann getrocknet, bis er lederhart war. Nun wurde das Tonmaterial
nach erneuter Glättung mit dem Rundholz in ca. 13,5
x 13,5 cm große Quadrate geschnitten.
Der Zuschnitt der einzelnen Fliesen mit
einem Messer erfolgte durch Auflegen einer Holzplatte, an der sich bis zur Mitte des 17.
Jahrhunderts an drei oder in allen vier Ecken je ein Nagel befand, der die
Schablone während des Schneidens im Tonmaterial fixieren sollte.
Ziege in Zackenraute; blau; Eckmotiv: Lilie; 1625 - 1660; 13,4 x 13,4 x 1,4 cm; oben links und rechts sowie unten links sind sehr schön drei "Backpunkte" zu erkennen, was für Fliesen bis Mitte des 17. Jhdts. typisch ist |
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Später wurden
nur noch zwei gegenüberliegende Nägel verwendet.
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Bibelszene: die Verkündigung der Geburt von Johannes dem Täufer an Zacharias (Lukas I.11.); im großen Doppelkreis; blau; Eckmotiv: Nelke; Amsterdam um 1750; 13,0 x 13,0 x 0,8 cm; mit zwei gegenüber liegenden "Backpunkten", oben rechts und unten links, typisch für Fliesen des 18. Jhdts. |
Diese
Methode des Zuschneidens per Hand erfolgte bis etwa 1860. In Harlingen fertigte man
sogar noch bis 1880 auf diese Weise die Fliesen. Danach wurden auch dort
Formbrettchen ohne Nägel verwendet, bzw. erfolgte das Zuschneiden maschinell.
Bibelszene: Jesus heilt einen Besessenen (Matthäus IX.32 und XII.22.-24.; Lukas II.14.,15.); im großen Doppelkreis; mangan; Eckmotiv: Spinne; Harlingen, 1880 - 1900; 13,0 x 13,0 x 0,8 cm; bezeichnenderweise ohne "Backpunkte" |
Die durch die Nägel verursachten Vertiefungen, auch Backpunkte genannt, sind
- wie die beiden Beispiele zeigen - bei genauer Betrachtung noch heute sichtbar.
Backpunkte können somit ein gewisser Anhaltspunkt zur Altersbestimmung sein.
Die zugeschnittene Tonplatte wurde nun allmählich auf ca. 1000 Grad Celsius erhitzt und bis zu 40 Stunden gebrannt, der sog. Tonbrand. Das Ergebnis war ein naturfarbener, poröser Tonscherben (rötlich-braun, gelblich oder auch grau, und zwar je nach Alter; siehe hierzu erneut den Link "Altersbestimmung").
Aufbringen der Glasur und Bemalung
Die vorgebrannte Tonplatte konnte nach dem Auskühlen glasiert und bemalt werden. Hierzu wurde sie in einen Glasurbrei aus geschmolzenem Zinn, Pottasche, Quarz, Sand, Soda und Wasser getaucht bzw. mit einer solchen Flüssigkeit übergossen. Das Wasser drang hierbei in das poröse Material ein, während die weiße Zinnoxidglasur auf der Oberfläche haften blieb.
Nach dem Trocknen erfolgte die Bemalung der Fliese. Dazu wurde zuvor eine sogenannte Sponse (Durchstaubschablone) auf die Fliese gelegt, über die man vorsichtig mit einem mit Kohlepuder gefüllten Säckchen klopfte.
Vornehmes Paar, sie mit am Arm herunterhängendem Federfächer, er in der linken Hand einen breitkrämpigen Hut mit zwei Federn haltend, die Konturen sind in dunklerem Blau gemalt und die Personen, insbesondere die Kleidung äußerst kunstfertig blau ausgemalt; Eckmotiv: Ochsenkopf; um 1675; 13,0 x 13,0 x 1,0 cm; selten |
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Der durch die winzigen Löcher der Sponse hindurch gedrungene feine Kohlestaub deutete nun das vorgesehene Motiv an, welches vom Fliesenmaler unter Verwendung spezieller Farben (scharffeuerfarben) mit einem besonderen Pinsel in den Umrissen nachgezogen und anschließend frei ausgemalt wurde.
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Landschaftsfliese: Bockmühle auf Stadtmauer mit Deichvogt, im Hintergrund weitere Gebäude und im Vordergrund zwei Schwäne im Schilf; besonders detailgetreu bemalt, sog. Freilichtdarstellung; blau; Rotterdam, 1725 - 1750; 12,6 x 12,6 x 0,8 cm |
Diese Art des Malens nach "Schablone" ist nicht nur daran zu erkennen, dass gleiche Motive auf einer Vielzahl von Fliesen zu finden sind,
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sondern auch im Fall spiegelverkehrter Bemalung, bei der über eine, nach derselben Bildvorlage, aber seitenverkehrt gestochenen Sponse das Kohlepuder geklopft wurde.
Hier z.B. zwei Soldaten-Fliesen: der in den Konturen identische Soldat mit Hut, Schild und Lanze, am Gürtel ist der Degen befestigt, sieht einmal nach rechts und einmal nach links (wie ein Spiegelbild), nur die Ausmalung ist unterschiedlich; beide blau mit Ochsenkopf-Eckmotiv; vermutlich Rotterdam, 1630 - 1660; 13,0 x 13,0 x 1,1 cm |
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Im Anschluss an das Bemalen wurde die Fliese noch einmal bei einer Temperatur von rd. 900° C gebrannt, der sog. Glasurbrand. Die Farben verschmolzen hierbei durch die Hitze mit der Zinnglasur.
Aufgrund der hohen Temperatur war die Auswahl der Farben stark eingeschränkt. Das berühmte Blau, welches ab dem 2. Viertel des 17. Jahrhunderts verwendet wurde,
Schiff in typischem
Blau; |
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sowie das ebenso typische Manganviolett, welches im 18. Jahrhundert in Mode kam,
Ornamentfliese: zwei Putten umgeben von floralem Ornament; mangan; vermutl. Harlingen oder Leiden, 1740 - 1920, Abb. um 1775; 13,2 x 13,2 x 0,9 cm |
sind
wohl die häufigsten Farben
Grün bemalte Landschaftsfliese (Hafenszene); Zentralmotiv im großen Doppelkreis; Eckmotiv: Ochsenkopf; Harlingen, 1890 - 1920; selten |
Typisch
sind vielmehr polychrome (mehrfarbige) Bemalungen, die
vor
allem auf den frühen holländischen Fliesen
des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts zu finden sind.
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Blumenvase ("Bloempotje") im Vierpass; polychrom; Eckmotiv: Abwandlung vom Blatt, sog. geschwungenes Blatt ("Vleugelblad"); 1600 - 1630; 13,5 x 13,5 x 1,4 cm |
Da über die Jahrhunderte der Herstellungsprozess nahezu gleich geblieben ist, kann für die überwiegende Zahl der Fliesen aller Perioden eine Größe von rund 13 x 13 cm verzeichnet werden (sog. Standardmaß). Genauer betrachtet liegt die Spanne indes zwischen 13,7 x 13,7 cm und 13,2 x 13,2 cm (so häufig die Fliesen bis 1630) bis hin zu 12,4 x 12,4 cm (so nicht selten die Fliesen in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts), während die Fliesen des 18. und 19. Jahrhunderts (und natürlich auch des 20. Jahrhunderts) meist das Maß von 13 x 13 cm einhalten.
Hiervon erheblich abweichende Maße besitzen zum Teil frühe Fliesen ab 1570 bis zur 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts, und zwar von 8,5 x 8,5 cm, 10 x 10 cm, 11,7 x 11,7 cm, 14,7 x 14,7 cm bis zu 16,5 x 16,5 cm. Im 18. Jahrhundert sind hingegen nicht dem Standardmaß von 13 x 13 cm entsprechende Fliesen relativ selten. Erst nach 1830 treten solche Fliesen wieder verstärkt auf, wobei die Größe dann meist 15 x 15 cm beträgt.
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Daneben gibt es auch noch Fliesen in der Größe 19 x 19 cm, die allerdings nicht als Wandfliesen, sondern als Bodenfliesen Verwendung fanden (zu den speziellen Größen sog. Randfliesen siehe ergänzend Link Motive, und zwar dort am Ende).